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Rechtsanwalt
Axel Nagler
Erfahrungsbericht
aus einem durchprozessierten
Verfahren nach § 129 b StGB - Al Queda
Vorbemerkung
Die
Ausführungen meines Referates sollen sich befassen mit den
Erfahrungen aus einem Verfahren mit dem Vorwurf aus § 129 b
StGB, dem so genannten Al Queda - Verfahren vor dem 6. Strafsenaten
des OLG Düsseldorf, soweit sie verallgemeinerbar sind. Dabei
muss ich mich mit der Urteilsschelte zum einen zurückhalten,
weil ich bisher nur die mündliche Urteilsbegründung kenne,
zum anderen die Berichterstatterin noch an den schriftlichen Urteilsgründen
schreibt und ich ihr in der Öffentlichkeit nicht in die Parade
fahren kann und will. Ich beschränke mich daher auf Gegenstände,
die im Laufe der Hauptverhandlung als Beschlüsse verkündet
oder die in der mündlichen Urteilsbegründung unmissverständlich
deutlich geworden sind.
Dabei
werde ich zunächst ganz kursiv den Verfahrensstoff beschreiben,
bevor ich Sie mit fünf Themen behellige:
-
besondere Probleme der Beweiswürdigung
- Konfliktverteidigung durch Beweisanträge
- die Problematik des § 244 V S 2 StPO
- Verwertung geheimdienstlicher Erkenntnisse
- Wohnraumüberwachung
I. Einführung
Das
Verfahren:
Die
Hauptverhandlung dauerte 131 Hauptverhandlungstage von Mai 2006
bis Dezember 2007. Es wurde vom Senat in der mündlichen Urteilsbegründung
in mehrerlei Hinsicht als Pilotverfahren bezeichnet insofern, als
erstmals eine lang andauernde Wohnraumüberwachung tatsächlich
und rechtlich bewältigt werden musste und als für die
Zeit nach dem 11.09.2001 geprüft werden musste, ob Al Queda
- noch - eine terroristische Vereinigung i.S.v. § 129 b StGB
war und ist.
Gegenstand
des Verfahrens mit drei Angeklagten war der Vorwurf der Mitgliedschaft
in bzw. der Unterstützung der terroristischen Vereinigung Al
Queda. Der von mir verteidigte Hauptangeklagte soll - so der Vorwurf
der Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift wie auch das Urteil
- sich Ende der Neunziger Jahre dem radikalen Islamismus zugewandt
und im Herbst 2000 sowie im Frühjahr 2001 Ausbildungslager
der Al Queda in Afghanistan besucht haben, wo er hochrangige Vertreter
dieses Netzwerks, insbesondere Ramsi Binalshibh, Abou Zubeida und
Usama bin Laden persönlich kennengelernt haben soll. Nach dem
11. September 2001 reiste er am 11. Oktober 2001 nach Pakistan und
soll von dort aus nach Afghanistan gegangen sein, um mit Al Queda,
eingebunden in deren Kommandostrukturen, gegen die Intervention
der USA zu kämpfen. Nach der Niederlage soll er nach Pakistan
geflohen und dort von Usama bin Laden selbst oder durch einen hochrangigen
Vertreter den Auftrag erhalten haben, sich nach Deutschland zu begeben
und hier als Resident von Al Queda neue Kämpfer für den
Dschihad und Selbstmordattentate zu gewinnen sowie Finanzmittel
zu beschaffen. Die Rückkehr soll ihm gelungen seien, indem
er sich als Mitglied von Tablighi Jamaat, einer friedlichen muslimischen
Missionierungsgruppe, ausgab und eine Weile in deren Zentrum in
Raiwind/Pakistan verbrachte, von wo er im Juli 2002 nach Deutschland
reiste. Hier soll er die beiden Mitangeklagten gewonnen und versucht
haben, 48 Gramm Uran für den Bau einer schmutzigen Bombe zu
organisieren. Weiter schloss die Gruppe eine ganze Serie von Lebensversicherungsverträgen
ab mit dem Plan, den versicherten Mitangeklagten nach Ägypten
zu schicken und dort seinen Tod vorzutäuschen. Mittels eines
unrichtigen Totenscheins sollten dann die Versicherungssummen in
Höhe von insgesamt mindestens 1,2 Millionen EUR eingestrichen
und davon ein Teil von einem Fünftel bis zu einem Drittel Al
Queda zur Verfügung gestellt werden. Bevor es zur Ausreise
kam, wurden zwei Angeklagte am 23.1.2005 und der dritte im Mai desselben
Jahres festgenommen und befinden sich seither in Untersuchungshaft.
Im
Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurden umfangreiche Telefonüberwachungs-,
Observations- und Videoüberwachungsmaßnahmen durchgeführt.
Insbesondere aber wurde in der Wohnung meines Mandanten von Ende
August 2004 bis zum 23. Januar 2005, also über einen Zeitraum
von ziemlich genau vier Monaten, eine komplette Wohnraumüberwachung
durchgeführt. Dies geschah im Wege einer 24-Stunden Rundum-Überwachung
in der Weise, dass ständig mindestens ein Dolmetscher und ein
Kriminalbeamter im Überwachungsraum saßen und alle Lebensäußerungen
mit hörten. Von Fall zu Fall wurde entschieden, ob entweder
das Mithören unterbrochen - das allerdings in den seltensten
Fällen - oder die Gespräche aufgezeichnet wurden. Insgesamt
wurden die Gespräche und Lebensäußerungen innerhalb
der Wohnung meines Mandanten über 3.600 Stunden lang abgehört;
hiervon wurden etwa 720 Stunden, 20%, aufgezeichnet, davon wiederum
wurde etwa die Hälfte übersetzt. In das Verfahren eingeführt
wurden schlussendlich Gespräche in dritter Übersetzung,
deren Wortprotokolle in deutscher Sprache vier komplette Leitz-Ordner
umfassen.
Die
Beweisführung der Bundesanwaltschaft stützte sich im Wesentlichen
auf die Inhalte der in der Wohnung aufgezeichneten Gespräche.
Fest stehende Tatsachen waren und sind, dass von einem Mitangeklagten
in großem Umfang Lebensversicherungsverträge auf sein
Leben zu Gunsten des anderen Mitangeklagten abgeschlossen worden
waren und die Tatsache, dass mein Mandant am 11. Oktober 2001 vom
Flughafen München über Dubai nach Islamabad geflogen ist.
Dort verlor sich seine Spur, bis er nachweislichen im Mai 2002 im
Zentrum der Tablighi Jamaat im Raiwind war; spätestens in der
zweiten Hälfte Juli 2002 war er wieder zurück in Deutschland.
Die
riesigen Lücken zwischen diesen freistehenden Tatsachensäulen
wurden von der Bundesanwaltschaft und dem Senat mit Hilfe der Äußerungen
der Angeklagten, insbesondere meines Mandanten, in der Wohnraumüberwachung
und mit Hilfe einer unübersehbaren Anzahl von Schlussfolgerungen
und Hilfskonstruktionen geschlossen.
Ein
wesentlicher Angriffspunkt der Verteidigung war naturgemäß
die Wohnraumüberwachung hinsichtlich ihrer Zulässigkeit
und ihre Verwertbarkeit - dazu später mehr. Der zweite wesentliche
Angriffspunkt der Verteidigung war auch der Inhalt der Wohnraumüberwachung,
der nach Auffassung der Verteidigung, jedenfalls was die Berichte
unseres Mandanten über seine angebliche Mitgliedschaft bei
Al Queda und seine großen Heldentaten in Afghanistan angehen,
nichts als prahlerisches Gerede am abendlichen Fernseh-Lagerfeuer
i. S. von Geschichten aus 1001 Nacht waren. Hierin unterstützt
wurde die Verteidigung durch einen ein eingeholtes psychiatrisches
und psychologisches Sachverständigengutachten, das unserem
Mandanten in der Tat ein großes Geltungsbedürfnis und
dem unstillbaren Wunsch bescheinigte, in den Augen anderer etwas
darzustellen. Die Gutachter empfahlen dem Gericht, stets genau zu
prüfen, ob Äußerungen dieses Angeklagten durch andere
Beweismittel oder Beweisanzeichen gestützt oder widerlegt würden.
Hierauf zielten eine Reihe von Beweisanträgen, mit denen Auslandszeugen
benannt wurden - auch dazu später mehr.
II.
Tatsachen, Schlussfolgerungen und Vermutungen
Wie
das Verfahren, über das ich berichte, befassen sich die Verfahren
aus diesem Bereich nach der Natur der Sache großenteils mit
Sachverhalten, die im Ausland spielen. Es gibt daher oft nur wenige
wirklich festgestellte Tatsachen, die durch Schlussfolgerungen verbunden
werden, um zu dem Bild er Anklage werden zu können. Sowohl
Bundesanwaltschaft als auch Gerichte sind nach meiner Erfahrung
in diesen Verfahren angesichts derer politischer Bedeutung noch
mehr als im Rahmen des Üblichen und m.E. deutlich über
die Grenze des Zulässigen und gedanklich Erträglichen
bereit, ihren Entscheidungen weit tragende Schlussfolgerungen und
Vermutungen zugrunde zu legen.
Die
zentrale Frage dieser Kritik ist natürlich das Problem, was
in den Urteilsfeststellungen noch als Schlussfolgerungen auf der
Basis tragfähiger Tatsachen angesehen werden kann, und was
als bloße Vermutungen. Von wesentlicher Bedeutung in diesem
Zusammenhang ist die Frage des erforderlichen Beweismaßes.
Je weniger wahrscheinlich die Schlussfolgerung nämlich sein
muss, die der Richter aus (als solchen zunächst zweifelsfrei
festgestellten) Beweisanzeichen im Hinblick auf die Schuld des Angeklagten
ziehen kann, desto weniger an Zahl und Aussagekraft müssen
diese Beweisanzeichen sein. Umgekehrt erfordert das Verlangen nach
höherer Wahrscheinlichkeit der Schlussfolgerung ein mehr an
Beweisanzeichen oder deren Aussagekraft.
Ich
pflege die Arbeit der Ermittlungsbehörden, die wir in der Hauptverhandlung
nachzuvollziehen und auf ihre Konsistenz, Schlüssigkeit und
den Anspruch, die Realität abzubilden, vor allem kritisch zu
prüfen haben, mit aller Vorsicht zu vergleichen mit einer Mischung
aus der Arbeit eines Archäologen, der im nordafrikanischen
Sand einer Reihe von verschiedenfarbigen und unterschiedlich geformten
Scherben findet und einem Puzzle. Zu Beginn wissen die Ermittler
nicht, welches Bild oder Objekt aus den Scherben entstehen kann.
Haben sie erst einmal eine Vermutung, bilden sie eine Hypothese
und ordnen dabei die Steinchen entsprechend an. Von diesem Moment
an haben wir es mit einem Puzzle zu tun, bei dem das Bild, das aus
den Steinchen entstehen soll, vorgegeben ist. Dabei besteht die
große Gefahr, dass alle in Zukunft gefundenen Steinchen solange
gedreht, gewendet und bearbeitet werden, bis sie in das einmal vorgefasste
Bild passen, dass andere Steinchen, die nicht hineinpassen, erst
gar nicht aufgenommen oder für unwichtig gehalten und dass
die oft allzu großen Lücken zwischen den Steinchen großzügig
mit Elementen aus dem Bild geschlossen werden, das man ohnehin schon
im Kopf hat, ohne es immer wieder kritisch zu hinterfragen.
Es
ist Herdegens Verdienst, auf dieses Problem aufmerksam gemacht zu
haben[1] . Er hat damit die unsystematische Rechtsprechung und des
Bundesgerichtshofs, wenn auch mühselig und gegen hinhaltenden
Widerstand, auf einen Punkt gebracht. Diese erschöpfte sich
in Einzelfallentscheidungen und in Formulierungen wie der, dass
die Schlüssel der Beweiswürdigung auf Prämissen beruhten,
die lediglich eine Vermutungen oder einen Verdacht begründen
könnten[2] , dass die tatrichterliche Überzeugung objektiv
nicht hinreichend fundiert sei[3] oder dass sich die vom Tatrichter
gezogene Schlussfolgerung so sehr von einer festen Tatsachengrundlage
entferne, dass sie nur einen Verdacht, nicht aber die zur Verurteilung
erforderliche Überzeugung zu begründen vermöchte[4]
, dass das objektive Tatgeschehen für eine Sachverhaltsannahme
des Tatgerichts keine Anhaltspunkte biete[5] oder gar, dass für
einen Sachverhalt Annahme des Tatgerichts jede Erklärung fehle[6]
.
Die
Beweiswürdigungslehre, die auf das Beweismaß der hohen
Wahrscheinlichkeit abstellt, hatte ihre erste und grundlegende Formulierung
im Urteil des 2. Strafsenats des BGH vom 08.01.1988[7] gefunden:
"der
Angeklagte darf nicht verurteilt werden, wenn Umstände vorliegen
oder als nicht widerlegbar zu seinen Gunsten angenommen werden
müssen, die aus rationalen, intersubjektiv vermittelbaren
und eines wichtigen Gründen nicht den Schluß gestatten,
das die Übereinstimmung von Zeugenaussagen und dem tatsächlichen
Geschehen in hohem Maße wahrscheinlich ist."
Die
Sachverhaltsannahme des Tatgerichts und seine Beweiswert Einschätzungen
müssen im Falle der Verurteilung in den Gründen des tatrichterlichen
Urteils als Resultat einer rationalen, intersubjektiv akzeptablen
und in hohem Maße plausiblen Argumentation ausgewiesen werden[8]
. Diese Lehre ist inzwischen auch vom BVerfG übernommen worden,
das im Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30.4.2003[9]
formuliert:
"[W]ährend
die frühere Rechtsprechung Schlussfolgerungen des Tatgerichts,
die nach der Lebenserfahrung möglich sind, genügen ließ
[...], wird nunmehr vorausgesetzt, dass der Schuldspruch auf einer
tragfähigen Beweisgrundlage aufbaut, die objektiv hohen Wahrscheinlichkeit
der Richtigkeit des Beweisergebnisses ergibt (folgen Nachweise)".
Diesen
Anforderungen werden Beweiswürdigung, denen lediglich eine
geringe Anzahl von wenigen aussagekräftigen Beweisanzeichen
zugrunde liegt, ebenso wenig gerecht, wie ein von Archäologen
rekonstruiertes Mosaik den Anspruch erheben kann, das Original abzubilden,
das nur wenige Mosaiksteinchen enthält, dessen großflächige
Zwischenräume mit Farbe und Lehm zwar nach bestem Wissen und
Gewissen, aber doch nach eigenem Gutdünken des Restaurateurs
ausgefüllt sind.
Ich
werde Ihnen ein Beispiel nennen: In unserem Verfahren ging es, wie
schon angedeutet, darum, dass unser Mandant sich in der Wohnraumüberwachung
von seinen angeblichen Großtaten bei den Kämpfen in Afghanistan
und auf der Flucht über Pakistan berichtet hatte. Aufgrund
der von den psychologischen und psychiatrischen Sachverständigen
angeratenen Vorsicht war der Senat gehalten, nach Beweisanzeichen
zu suchen, die diese durch sonst nichts belegten Angaben zu stützen
in der Lage wären. Hierzu bot sich das bei unserem Mandanten
sichergestellte Telefonnotizbuch an, das von einem Polizeibeamten
ausgewertet worden war. In dieses Notizbuch, so der Polizeibeamte,
hatte der Angeklagte fein säuberlich alle Telefonnummern in
der Reihenfolge notiert, in der er die entsprechenden Personen oder
Kontakte kennen gelernt hatte.
In
der Tat konnte man - auf den ersten Blick - den Eindruck gewinnen,
dass die Reihenfolge der Eintragung der Telefonnummern seit 1995
der Reihenfolge der verschiedenen Aufenthaltsorte des Angeklagten
im Laufe der Zeit entsprach. So lag - auf den ersten Blick - die
Vermutung nahe, dass auch die wenigen Eintragungen, die Telefonkontakte
in Pakistan repräsentierten, im fraglichen Zeitraum gemacht
worden waren.
Nun
weiß aber jeder, das ein Notizbuch in Form einer DIN A 5-Kladde,
wenn es von 1995 bis zur Verhaftung im Jahre 2005 und zudem noch
bei zwei Ausbildungen in einem Al Queda-Trainingslager sowie bei
einem längeren Kampfeinsatz in Afghanistan und Pakistan und
einer sich daran anschließenden Flucht von Oktober 2001 bis
Juli 2002 fortlaufend geführt wird, notwendigerweise in seinem
äußeren Erscheinungsbild leidet und Verschmutzungen,
Eselsohren, Risse in den Seiten und ähnliche Beschädigungen
aufweist. Diese Tatsache hat den Senat ebenso wenig daran gehindert,
der haltlosen Vermutung des Polizeibeamten von den Kampfeinsätzen
des Angeklagten in Afghanistan und Pakistan zu folgen wie der Umstand,
dass hinsichtlich Afghanistan keinerlei Telefonnummern vorlagen
und hinsichtlich der Anschlussinhaber von Seiten der Polizei ebenfalls
nur Vermutungen im Hinblick auf deren mögliche Kontakte zu
terroristischen Kreisen oder gar Al Queda vorlagen.
Die
in diesem Zusammenhang noch konkreteste Vermutungen war diejenige,
dass eine der Telefonnummern nach einer nicht näher spezifizierten
und für die gerichtliche Verwertung gesperrten Äußerung
eines nicht näher genannten spanischen Geheimdienstes dem Bruder
einer Person zugeordnet worden sein soll, die mit den Anschlägen
von Madrid in Verbindung gebracht wurde. Eine irgendwie geartete
Überprüfung dieser Informationen war nicht möglich,
schon deswegen nicht, weil die Quelle dieser Informationen weder
genannt wurde noch ausfindig zumachen war. Auch die Tatsache, dass
unser Mandant nachgewiesenermaßen nach Pakistan ein- und aus
Pakistan wieder ausgereist war und sich dort auch aufgehalten hatte,
weshalb das Vorfinden pakistanischer Telefonnummern auch ganz anders
erklärbar war, hat den das Senat nicht davon abgehalten, den
Spekulationen des Polizeibeamte im Urteil zu folgen.
III.
"eine Flut von Beweisanträgen"?
Allerdings
hilft auch die Lehre vom Beweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit
nicht darüber hinweg, dass es keinen objektivierbaren Maßstab
dafür gibt, was "hohe Wahrscheinlichkeit " genau
bedeutet und dass im Einzelfall die Entscheidung darüber, welche
Schlussfolgerungen diesen Anforderungen genügen, zunächst
einmal beim Tatgericht und in dessen Verantwortung liegt. Für
die Verteidigung wie für die Staatsanwaltschaft ist dies im
konkreten Fall oft schwer abschätzbar.
Angesichts
des Umfangs des Tatsachenstoffes und der nahezu unbegrenzten Vielzahl
von möglichen und oft auch unmöglichen Schlüssen,
die daraus zum Nachteil des Angeklagten gezogen werden können
und werden, ist die Verteidigung gehalten, umfangreiche Beweisanträge
zu stellen, um diesen gedanklichen Möglichkeiten das Attribut
der Wahrscheinlichkeit zu entziehen. Hiergegen wendet sich die Rechtsprechung
m.E. völlig zu Unrecht, wenn die Instanzrichter und neuerdings
auch der 3. Strafsenat neuerdings verstärkt lamentieren, ja
der sechste Strafsenat des OLG Düsseldorf nicht nur im Laufe
der Hauptverhandlung einen entsprechenden Beschluss des 3. Strafsenats
vom 25.01.2005[10] , sondern auch in der mündlichen Urteilsbegründung
wörtlich aus der Entscheidung des desselben Senats vom 21.8.2007[11]
folgendes zitiert:
"...
Begreifbar wird dies (gemeint: die Länge des Verfahrens)
erst, wenn man das Verhalten der Verteidigung und insbesondere
den Inhalt einiger der von ihr gestell- ten zahlreichen Anträge
berücksichtigt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass gewonnene
Beweise durch Beweisanträge entwertet werden sollen, .....
. Es mag dahinstehen, inwieweit eine solche Prozeßführung
sich noch in den Grenzen des strafprozessual und berufsrechtlich
Zulässigen bewegt. Dem berechtigten Anliegen der Strafverteidigung,
den Angeklagten vor einer unzutreffenden Verurteilung oder zumindest
vor einer prozessordnungswidrigen Verfahrensweise zu bewahren,
fühlt sie sich jedenfalls ersichtlich nicht mehr verpflichtet.
Ein solches Verhalten muß auf die Dauer zu einer Erschöpfung
der Ressourcen der Strafjustiz führen, wenn diese selbst
in einfachst gelagerten Sachen mehrere Hauptverhandlungstage aufwenden
muß, nur um Anträge der Verteidigung zu verbescheiden,
die allenfalls nach ihrer äußeren Gestalt, nicht aber
nach ihrem tatsächlichen inhaltlichen Anliegen der Aufklärung
des wahren Sachverhalts dienen. Bei einer weiteren Zunahme dieses
nach Beobachtung des Senats immer mehr um sich greifenden Phänomens
wird sich letztlich auch der Gesetzgeber zum Einschreiten veranlaßt
sehen müssen. ..."
Man
merkt die Absichten und man ist verstimmt. Es ist in keiner Weise
nachvollziehbar, weshalb es mit dem berechtigten Anliegen der Strafverteidigung,
ja man möchte meinen, auch aller anderen Verfahrensbeteiligten,
zuvörderst des Gerichts, die Angeklagten vor einer unzutreffenden
Verurteilung oder einer prozessordnungswidrigen Verfahrensweise
zu bewahren, nicht vereinbar sein soll, wenn bereits gewonnene Beweise
oder Beweisanzeichen durch Beweisanträge entwertet oder widerlegt
werden sollen. Die in Beschlüssen dieser Art zum Ausdruck kommende
Denkweise ist es vielmehr, wie die Axt an die Wurzeln eines rechtsstaatlichen
Strafverfahrens legt. Diese Denkweise, die das Ausmaß von
Ressourcenkürzungen und Stellenstreichungen im Bereich der
Justiz zu Maßstab dessen macht, was der Strafprozess leisten
soll, ist es, die sich den eigentlichen Zielen des rechtsstaatlichen
Strafverfahrens nicht mehr verpflichtet zu fühlen scheint.
Ich
will natürlich nicht verkennen, dass es Beweisanträge
gibt, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben sind;
genauso gibt es immer wieder, und auch von Revisionsrichtern beklagt,
die Unfähigkeit von Instanzrichtern, Beweisanträge sachgerecht
zu bescheiden. Einen Grund für eine Einschränkung des
Beweisantragsrechts um den Ruf nach dem Gesetzgeber, der in schöner
Regelmäßigkeit alle paar Jahren wieder auftaucht, vermag
ich hierin nicht zu erkennen. Erst recht muss das gelten, wenn ein
solcher Ruf erschallt angesichts eines Verfahrens, das einen Tatsachenstoff
zu bewältigen hatte, der in etwa 140 Leitz-Ordnern und über
300 Stunden überwachter Wohnraumgespräche bestand und
der ein Geschehen betraf, dass sich zu einem nicht um beträchtlichen
Teil im Ausland abgespielt haben soll. Die Verteidigung hat insbesondere
gegen Ende des Verfahrens ganz bewusst eine Reihe von Beweisanträgen
in die Formen von Beweisermittlungsanträgen gekleidet, denen
der Senat allesamt nachgegangen ist. Das zeigt, dass diese Anträge
die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO aktiviert
haben und keineswegs in die oben inkriminierte Kategorie einzuordnen
waren. Das Lamentieren entbehrt damit in jeder nachvollziehbaren
Tatsachengrundlage. Es wird aber genau zu beobachten sein, ob es
Pläne oder konkrete Vorhaben geben wird, dass Beweisantragsrechts
weiter einzuschränken.
IV. Beweisanträge
auf Vernehmung von Auslandszeugen
Ein
weiteres zentrales Thema der Verfahren, die einen Vorwurf nach §
129 b StGB zum Gegenstand haben, ist der Umstand, dass sich weite
Teile des Geschehens im Ausland abspielen, ja dass dies sogar ein
Wesensmerkmal dieser Verfahren ist.
Im
Zusammenhang mit der Einführung dieses Straftatbestandes, der
als Normalfall Auslandsgeschehen zum Gegenstand hat, ist es versäumt
worden, die Vorschrift des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO anzupassen.
Aus meiner Sicht ist es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und
dem Fairnessgebot nicht zu vereinbaren, einerseits ein Auslandsgeschehen
zum Gegenstand eines Strafverfahrens zumachen, andererseits das
Beweisantragsrecht in diesen Verfahren planmäßig auszuschließen.
Naturgemäß muß die Verteidigung in solchen Fällen
vielfach Zeugen aus dem Ausland benennen.
Die Standardformulierung bei der Behandlung von Beweisanträgen
auf Vernehmung von Auslandszeugen stammt aus dem Beschluss des 3.
Strafsenats des BGH vom 9.6.2005[12] und ist überschrieben
mit dem verräterischen Wort "Beweisantizipation".
Wer ein wenig Latein gelernt hat, der weiß, dass die Vorsilbe
"anti" die Bedeutung eines aggressiven "gegen"
hat, wie beispielsweise in "Anti-Personen-Minen". Inhaltlich
meint der Begriff die Vorwegnahme der Beweiswürdigung, was
lateinisch mit der Vorsilbe "ante" korrekt auszudrücken
wäre. Dass durchgängig in diesen Zusammenhängen die
Vorsilbe "anti" benutzt wird, mag auf sprachliches Unvermögen
zurückzuführen sein; sieht man sich die Verwendung des
Begriffes an, scheint dahinter eher die Absicht zu stecken, Beweisanträge
mit diesem Konstrukt bekämpfen zu wollen.
Nun
aber die Standardformulierung zur Ablehnung von Beweisanträgen,
wie sie der 3. Strafsenat vorgegeben hat:
"Gemäß
§ 244 Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Satz 1 StPO kann ein Beweisantrag
auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken
wäre, abgelehnt werden, wenn seine Vernehmung nach dem pflichtgemäßen
Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich
ist. Maßgebendes Kriterium hierfür ist, ob die Erhebung
des beantragten Beweises von der Aufklärungspflicht gefordert
wird (BGHSt 40, 60, 62; BGH NJW 2001, 695, 696; 2002, 2403, 2404;
NStZ 2004, 99, 100); denn durch die Einführung des §
244 Abs. 5 Satz 2 StPO wurde die Möglichkeit der Ablehnung
eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen nur um
den schmalen Bereich erweitert, in dem die Ablehnungsgründe
des bis dahin allein anwendbaren § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO
es nicht zuließen, einen derartigen Beweisantrag zurückzuweisen,
obwohl die Beweiserhebung von der Aufklärungspflicht nicht
geboten war (vgl. BGH NJW 2002, 2403, 2404). Bei der Prüfung,
ob die Aufklärungspflicht die Ladung eines benannten Auslandszeugen
gebietet, sind grundsätzlich das Gewicht der Strafsache,
die Bedeutung und der Beweiswert des weiteren Beweismittels vor
dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses, der zeitliche
und organisatorische Aufwand der etwaigen Beweisaufnahme und die
damit verbundenen Nachteile durch die Verzögerung des Verfahrens
unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
gegeneinander abzuwägen (BGH NJW 2001, 695, 696; 2002, 2403,
2404). In diesem Rahmen ist der Tatrichter von dem sonst geltenden
Verbot der Beweisantizipation befreit. Er darf daher bei seiner
Entscheidung prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse
von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese
zu würdigen wären. Kommt er dabei unter Berücksichtigung
sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als
auch der in der bisherigen Beweisaufnahme - unter Einschluß
etwaiger Erkenntnisse aus freibeweislichen Erhebungen zum Beweiswert
des Zeugen (vgl. BGH NJW 2002, 2403, 2404; BGH NStZ 2004, 99,
100; BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 5) angefallenen
Erkenntnisse mit tragfähiger Begründung zu dem Ergebnis,
dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde bestätigen
können oder dass ein Einfluß auf seine Überzeugung
auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein
Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist die Ablehnung
des Beweisantrages in aller Regel nicht zu beanstanden (BGHSt
40, 60, 62). Denn das Revisionsgericht ist darauf beschränkt,
die Ermessensentscheidung des Tatrichters auf Rechtsfehler zu
überprüfen, und kann daher nicht etwa dessen rechtlich
nicht zu beanstandende Ermessensentscheidung durch seine gegebenenfalls
abweichende Einschätzung ersetzen (vgl. BGH NJW 1998, 3363,
3364)."
In
unserem Fall hatten wir es mit zwei Kategorien von Auslandszeugen
zu tun: zum einen hatte unser Mandant wieder damit geprahlt, höhere
Chargen von Al Queda nicht nur zu kennen, sondern sehr gut zu kennen,
teilweise so gut, dass der in der Lage war, Ramsi Binalshibh nur
so zum Zeitvertreib der Bastonade zu unterwerfen. Zum anderen war
es der Verteidigung durch eigene Ermittlungen gelungen, gleich eine
ganze Reihe von Zeugen ausfindig zumachen und zu benennen, die zu
bekunden in der Lage waren, dass der Angeklagte sich in der Zeit,
in der er nach der Theorie der Bundesanwaltschaft in Afghanistan
mit Bin Laden gekämpft hatte, sich nicht dort befand, sondern
in seinen seinem Heimatort Deir Az Zour in Syrien.
Nachdem
bekannt geworden war, dass sowohl Ramsi Binalshibh als auch Abou
Zubeida in Guantanamo angekommen waren, wurden diese beiden als
Zeugen dafür benannt, dass die entsprechenden Erzählungen
unseres Mandanten nicht der Wahrheit entsprachen und die Zeugen
unseren Mandanten gar nicht kannten. Diese Beweisanträge wurden
nicht nur mit dem Hinweis auf die angebliche Unerreichbarkeit dieser
Zeugen abgelehnt, wobei noch nicht einmal der Versuch unternommen
wurde, sie im Wege der Rechtshilfe mit den USA zu laden oder ihre
kommissarische Vernehmung zu erreichen. Dieses Argument hätte
nämlich bei Ablehnung entsprechender Anfragen durch die Behörden
der USA dazu geführt, das das Argument aus dem Motassadeq-Urteil
zum Zuge gekommen wäre, dass nämlich bei der Beweiswürdigung
zu berücksichtigen ist, dass ein ausländischer Staat,
der auch ein eigenes Interesse am Ausgang des Strafverfahrens und
sich zudem in einem völkerrechtlichen Vertrag zur Gewährleistung
von Rechtshilfe insbesondere zur Bekämpfung des internationalen
Terrorismus verpflichtet hat, die Aufklärung des Sachverhalts
durch seine Verweigerungshaltung verhindert. Der Senat führte
in seinen entsprechenden Beweisbeschlüssen zusätzlich
das wohlfeile Argument an, dass ein Einfluss auf die Entscheidungen
durch die Angaben dieser Zeugen selbst dann sicher ausgeschlossen
wäre, wenn sie die Beweisbehauptung bestätigten. Das ergebe
sich daraus, dass sie Mitglieder derselben Organisation seien, der
die Angeklagten angehören sollen und davon auszugehen sei,
dass sie ihr Organisationsmitglied, ja ihren Glaubensgenossen, in
jedem Fall auch der Wahrheit zuwider entlassen würden. Die
Argumentation krankt natürlich, wie man ohne weiteres sehen
kann, daran, dass sie voraussetzt, was durch das Verfahren erst
noch zu beweisen wäre, das nämlich der Angeklagte tatsächlich
Mitglied von Al Queda ist.
Auch
bei der zweiten Gruppe der benannten Zeugen begnügte sich der
Senat wohlweislich nicht mit dem Argument der Unerreichbarkeit,
obwohl dies nahe gelegen hätte, dazwischen Syrien und Deutschland
kein Rechtshilfeabkommen existiert und ein vertragsloses Rechtshilfeersuchen
erfahrungsgemäß unabsehbar lange dauert. Angesichts der
Bedeutung des Vorwurfs und der bereits zurückgelegten Verfahrensdauer
wäre es schwierig zu begründen gewesen, weshalb einem
solch zentralen Alibibeweis nicht hätte nachgegangen werden
sollen. Statt dessen griff der Senat erneut zu dem Argument, dass
die Angaben der Zeugen auch dann seine Entscheidung nicht zu beeinflussen
in der Lage wären, wenn sie die umfangreichen und substantiiert
vorgetragenen Beweisbehauptungen bestätigten. Sie seien nämlich
allesamt Verwandte, Freunde und Bekannte des Angeklagten und daher
müsse davon ausgegangen werden, dass sie dem Angeklagten ein
falsches Alibi verschaffte. Angesichts der Tatsache, dass die Angaben
des Angeklagten in der Wohnraumüberwachung glaubhaft seien
und überdies gewichtige Beweisanzeichen für die Richtigkeit
seiner Angaben vorlägen, komme den behaupteten Angaben der
Zeugen im Wege vorweggenommene Beweiswürdigung für die
Überzeugungsbildung des Senats keine Bedeutung zu. Mit anderen
Worten: Weil der Senat von der Richtigkeit der Erzählungen
des Angeklagten überzeugt war, hielt er eine Widerlegung seiner
Angaben durch Zeugenaussagen für nicht möglich. Eine zirkulärere
Argumentation habe ich selten gehört.
Eindrucksvoller
kann man, glaube ich, nicht belegen, dass § 244 Abs. 5 Satz
2 StPO in Verfahren der vorliegenden Art zum Missbrauch geradezu
einlädt und dass dringender gesetzgeberische Handlungsbedarf
dahingehend besteht, die Vorschrift in ihren Wirkungsbereich jedenfalls
auf diejenigen Verfahren zu beschränken, die auch einen Inlandssachverhalt
zum Gegenstand haben.
V.
Die Verwertung geheimdienstlicher Erkenntnisse
Inzwischen
ist es keineswegs übertrieben, auch in Deutschland von einem
funktionalen Fahndungsverbund zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten
zu sprechen[13] . Generelles und einziges Einfallstor für die
zweckändernde Übernahme nachrichtendienstlicher Informationen
in das Strafverfahren ist § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO. Auch der
Bundesnachrichtendienst, der militärische Abschirmdienst und
die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder sind
Behörden, von denen die Staatsanwaltschaft Auskünfte verlangen
kann. Diese sind zur Erteilung der Auskünfte verpflichtet,
sofern nicht die oberste Dienstbehörde eine am Zweck des jeweiligen
Dienstes ausgerichtete Sperrerklärung gem. § 96 StPO abgibt
oder Zeugen keine Aussagegenehmigung erteilt. Das Problem dabei
ist, dass § 161 StPO keinerlei Einschränkungen für
die Verwendbarkeit der durch die Nachrichtendienste erhobenen Daten
für Zwecke des Strafverfahrens kennt. Nur das Auskunftsverlangen
selbst setzt einen Anfangsverdacht voraus. Während noch in
§ 161 Abs. 2 und in § 100 d Abs. 4 Nr. 3 StPO für
bestimmte präventivpolizeilich erlangte Daten auf die jeweiligen
Eingriffsschwellen verwiesen wird und Grenzen des Verwendungszwecks
eingezogenen sind, hat der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien
auch im Zuge des StVÄG 1999 derartiges für die Ermittlungsgeneralklausel
überhaupt nicht diskutiert. Das muss insbesondere deswegen
verwundern, wenn nicht bestürzen, als für die Dienste
sehr viel niedrigere oder in manchen Fällen gar keine Eingriffsschwellen
existieren als sie die StPO kennt[14] .
So
hat das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz nicht nur
die Aufgabe, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten, sondern
auch die, vor organisierter Kriminalität im Sinne der Definition
der gemeinsamen Richtlinien der Justiz- und Innenminister zu schützen
(Art. 1 Abs. 1 Satz 2 bayerisches VerfSchG). Nach Art. 3 Abs. 3
Nr. 2 und 14 Abs. 1 Satz 1, 3. Alternative des Gesetzes dürfen
die Ergebnisse dieser Beobachtungen im Rahmen von amtlichen Auskünften
an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden. Unnötig
zu sagen, dass die Voraussetzungen für ein Tätigwerden
des Verfassungsschutzes in Bayern natürlich weit unterhalb
eines Anfangsverdachts i. S. v. § 152 Abs. 2 StPO liegen, natürlich
auch im Hinblick auf einen großen Lauschangriff[15] . Ähnliches
gilt in den Ländern Hessen, Saarland und Thüringen. Es
ist hier nicht der Ort, sich mit der Problematik dieser Vorschriften
im Einzelnen auseinander zusetzen, der Hinweis muss an dieser Stelle
genügen.
Eine
besondere Stellung nimmt in diesem Zusammenhang der Bundesnachrichtendienst
ein, dessen Befugnisse in der Vergangenheit wiederholt reformiert
worden sind. Mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994
wurden die Befugnisse zur strategischen Überwachung des nicht
leitungsgebundenen Fernmeldeverkehrs erheblich ausgeweitet. Mit
der letzten Novellierung des G 10 vom 29.6.2001 entfiel das Erfordernis
der Leitungsgebundenheit des Fernmeldeverkehrs; das 34. StRÄndG
vom 22. August 2002 schließlich hat den neuen § 129 b
StGB in die Überwachungs- und Übermittlungsregelungen
für den BND eingeführt. Die Kernkompetenz in diesem Zusammenhang
liegt in der Ermächtigung zur so genannten verdachtslosen strategischen
Rasterfahndung, bei welcher Telekommunikationsvorgänge, in
denen bestimmte Suchbegriffe vorkommen, aufgezeichnet und ausgewertet
werden dürfen. Zwar dürfen diese Suchbegriffe nach §
5 Abs. 2 Satz 2 G 10 keine Identifizierungsmerkmale enthalten, die
zu einer gezielten Erfassung von bestimmten Fernmeldeanschlüssen
im Inland führen. Sofern bei der Datenerhebung solche Erkenntnisse
allerdings anfallen, dürfen sie unterabgestuften Voraussetzungen
an verschiedene Behörden weitergegeben werden. Der BND darf
die strategischen Rasterfahndung auch im Bereich der allgemeinen
Kriminalität einsetzen - schließlich hat das BVerfG in
seiner Abhörentscheidung von 1999[16] auch festgestellt, dass
der Einzelne bei jedem Kontakt mit dem Ausland mit der Möglichkeit
der Erfassung durch den Bundesnachrichtendienst rechnen müsse.
Die Gesetzesbegründung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes
legt nahe, dass der Bundesnachrichtendienst gezielt für die
polizeiliche Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung zuständig
gemacht worden ist. Aus dem Trennungsgebot ist mithin ein Kooperationsgebot
zwischen den Bundesnachrichtendienst auf der einen und den eigentlichen
Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden auf der anderen
Seite geworden[17] .
Durch
das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 hat das
Bundesamt für Verfassungsschutz die weitere Aufgabe erhalten,
Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung
und insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker
richten. Ausweislich der Gesetzesbegründung wird der Beobachtungsauftrag
des Verfassungsschutzes weit in das Vorfeld von Gefährdungen
der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik verlegt.
Nach § 20 Bundesverfassungsschutzgesetzes dürfen die Erkenntnisse
an polizeiliche Dienststellen weitergeleitet werden. Auf dem Feld
der Terrorismusbekämpfung jedenfalls ist die Grenze für
die Datenerhebung zurückgenommen und das Trennungsgebot quasi
aufgehoben worden, was zu den eingangs von mir erwähnten funktionalen
Ermittlungsverbund zwischen Nachrichtendiensten und der Polizei
führt. Auch der Bundesnachrichtendienst kann jetzt Auskunftsansprüche
gegenüber Kreditinstituten, Finanzdienstleistern, Finanzunternehmen,
Telekommunikationsunternehmen und Telediensteanbietern geltend machen.
Er braucht dafür keinerlei Anhaltspunkte im Hinblick auf die
Begehung irgendwelcher Straftaten. Ähnliches darf auch der
militärische Abschirmdienst.
An
der prinzipiellen Verwertbarkeit der so gewonnenen Erkenntnisse
im Strafverfahren hat die Rechtsprechung schon von jeher kaum Zweifel
geäußert. So erörtert der 6. Strafsenat des OLG
Düsseldorf in seiner Entscheidung wegen Zulassung eines GPS-Empfängers
noch nicht einmal die Frage des Einflusses von parallel geführten
Ermittlungen mindestens zweier Verfassungsschutzbehörden. Im
Urteil wird die Frage zwar erörtert, ihr aber keine Bedeutung
beigemessen. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs erörtert
die Frage in seiner Revisionsentscheidung vom 24.1.2001[18] nur
unter dem Aspekt, ob im Zusammenhang mit anderen Überwachungsmaßnahmen
eine so genannte "Rundum-Überwachung" stattgefunden
habe.
Im
Beschluss vom 30. Januar 2001[19] prüfte der 3. Strafsenat
des BGH die Zulässigkeit der Verwertbarkeit dreier vom Verfassungsschutz
übergebener Tonbandmitschnitte von Telefongesprächen anhand
der strengeren Kriterien, wie sie vom BVerfG in der Abhörentscheidung
1999[20] aufgestellt worden sind und stellt fest, dass konkrete
Tatsachen vorlagen, die den Verdacht der während Begehung einer
schweren Straftat begründeten.
In
seinem Urteil vom 11.2.2000[21] nimmt der 3. Strafsenat des BGH
Stellung zur Verwertbarkeit und zur Beweiswürdigung der Zeugenaussagen
eines leitenden Mitarbeiters beim Bundesamt für Verfassungsschutz.
Dieser hatte auf Grund von Quellenangaben teilweise die Angaben
eines Zeugen gestützten, der vom Gericht nicht vernommen werden
konnte. Der BGH erklärte die Einvernahme eines Mitarbeiters
des Verfassungsschutzes, der sich auf konkrete Quellen bezieht,
ohne diese zu nennen, zunächst für grundsätzlich
zulässig, um sie aber sodann den Erfordernissen einer besonders
sorgfältigen Beweiswürdigung zu unterwerfen. Diese seien
im vorliegenden Fall allerdings eingehalten.
Das
Kammergericht hat im Beschluss vom 23.3.1995[22] die Verlesung eines
Berichts eines Mitarbeiters des Verfassungsschutzes über Aktivitäten
des iranischen Geheimdienstes in Deutschland im Wege des Urkundenbeweises
für zulässig gehalten, nachdem der Verfasser, Mitarbeiter
des Verfassungsschutzes, als Zeuge gesperrten worden und daher für
das Gericht nicht erreichbar sein (§ 251 Abs. 2 StPO).
In
einer Haftentscheidung vom 30. April 1990[23] hat es der BGH mit
einem Verfahren zu tun, in dem das Landesamt für Verfassungsschutz
in Hamburg einen Telefonanschluß eines Generalkonsulats überwacht
hatte; dem Beschuldigten waren aus diesem überwachten Telefonaten
Vorhalte gemacht worden. Die einzige Frage, in die den BGH im Hinblick
auf die Zulässigkeit und Verwertbarkeit der Telefonüberwachung
interessiert, ist die, ob diese gegen Bestimmungen des Wiener Konsulatsübereinkommens
verstieß, was im konkreten Fall verneint wurde. Die Frage,
ob vom Verfassungsschutz durchgeführte Telefonüberwachung
überhaupt im Strafverfahren verwertet werden dürfen, wird
mit keinem Wort erörtert, erscheint also selbstverständlich[24]
.
In
den uns hier interessierenden Verfahren mit Vorwürfen nach
§ 129 b StGB haben wir es oftmals mit geheimdienstlichen Erkenntnissen
nicht im Hinblick auf die Frage nach konkretem Tatgeschehen zu tun.
Vielmehr werden geheimdienstliche Erkenntnisse eingeführt im
Hinblick auf die Frage, ob es sich bei dem zu beurteilenden Gebilde,
deren Mitglieder oder Unterstützer die Angeklagten sein sollen,
überhaupt um eine Vereinigung i. S. d. §§ 129 a,
b StGB handelt. Hierzu liegen in der Regel Berichte des Bundeskriminalamts
zur Gefährdungseinschätzung und Berichte des Bundesnachrichtendienstes
zur Frage der Organisationsqualität vor.
In
unserem Verfahren wurde zusätzlich noch der aus Film, Funk
und Fernsehen bekannte Dr. Steinberg als Sachverständiger gehört.
Die Berichte des Bundeskriminalamts und des Bundesnachrichtendienstes
wurden nicht nur als Behördenzeugnisse verlesen, ihr Inhalt
wurde auch durch Vernehmung der verantwortlichen Beamten in die
Hauptverhandlung eingeführt. Die Frage, ob ihre zu den einzelnen
Tatsachenbehauptungen in ihrem Bericht gerichtsverwertbare, belastbare
Erkenntnisse vorlägen, beantwortete die Beamtin des BK mit
einem klaren "nein". Die Frage, ob er uns zu den von ihm
vorgetragenen Bewertungen und Einschätzungen diejenigen Tatsachen
und die Quellen nennen könnte, auf denen diese beruhten, erklärte
der Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, hierzu habe er keine
Aussagegenehmigung. Einer Anregung der Verteidigung, beim Präsidenten
des Bundesnachrichtendienstes auf eine entsprechende Erweiterung
der Aussagegenehmigung hinzuwirken, kam der Senat nach anfänglicher
Ablehnung schließlich nach. Die Aussagegenehmigung wurde natürlich
nicht erweitert. Der Sachverständige Dr. Steinberg wurde nach
seinem Gutachten, wonach "Al Queda" im fraglichen Zeitraum
und auch heute noch als organisatorischer Zusammenhang im Sinne
einer Vereinigung existiere, gefragt, auf welche Tatsachen und nachvollziehbaren
Erkenntnisse sich diese seine Bewertungen und Einschätzungen
begründeten. Er erklärte dazu, dass sein Gutachten auf
allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere der Presse, beruhe.
Da er sein schriftliches Vorgutachten nicht mit Fußnoten versehen
hatte und Quellenangaben nicht zu finden waren, wurde er gefragt,
ob er erklären könne, welche seine Bewertungen, Urteile
und Einschätzungen auf welchen Quellen beruhen und ob er uns
einen Fußnotenapparat nachliefern könne. Das wurde vom
Gutachter verneint.
Gleichwohl
hat der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf in
seinem Urteil feststellen zu können geglaubt, dass Al Queda
nach wie vor und natürlich auch im Tatzeitraum Vereinigungsqualität
besaß. Wir haben dazu von den Mitarbeiter des Bundeskriminalamts
und das BND gehört, dass regelmäßige Dienst- und
Lagebesprechung der Mitarbeiter beider Behörden zu dem fraglichen
Thema gab, zu denen auch Polizeibeamte, Mitarbeiter anderer Inlandsdienste
und natürlich auch Mitarbeiter ausländischer Dienste,
so insbesondere der Israelis und der USA, hinzu traten und ihre
Erkenntnisse einfließen ließen. So entstand eine allgemeine
Lageeinschätzung, bei der im Nachhinein nicht mehr zu identifizieren
war, woher welche Information stammte, ganz zu schweigen davon,
dass die ausländischen Dienste ihre Quellen ohnehin nicht preisgaben.
Vor
diesem Hintergrund muss bestürzen, dass angesichts des Beweiswertes
solcher Erkenntnisse, besser des nicht erkennbaren Beweiswertes,
derartiges Eingang in Urteile von Staatsschutzsenaten in der Bundesrepublik
finden kann. Man sollte meinen, dass der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
hierzu schon Ausreichendes gesagt hat. In seinem Urteil vom 5. Februar
1986[25] führt er in einem Fall, in dem ist ein solcher Geheimdienstbericht
zur Grundlage eines Urteils gemacht worden ist, folgendes aus:
"Der
Senat verkennt nicht, dass die Beweisführung des OLG Umstände
aufzeigt, die geeignet sind, den Angekl. zu belasten
.
Die Urteilsgründe lassen jedoch besorgen, dass sich das OLG
nicht hinreichend der rechtlichen Grenzen bewußt war, die
seiner Überzeugungsbildung durch die Besonderheiten gerade
des vorliegenden Falles gezogen sind. Muß der Tatrichter
schon immer dann, wenn er den eigentlichen Wissensträger
selbst nicht als Zeugen vernehmen kann, und um so mehr, wenn dieser
anonym bleibt, den Beweiswert des von ihm benutzten Beweismittels
besonders kritisch überprüfen, sich der Grenzen seiner
Überzeugungsbildung bewußt sein, sie wahren und dies
in den Urteilsgründen zum Ausdruck bringen (BGHSt 17, 382,
385/386; BVerfGE 57, 252, 292/293 [= StV 1981, 381] m.w.N.) sowie
andere wichtige Anhaltspunkte mit heranziehen (BGH a.a.O., BGHSt
33, 83, 87/88 [= StV 1985, 45]; 33, 178, 181/182 [= StV 1985,
268]; vgl. auch BGHSt 33, 70, 75 [= StV 1983, 5], je m.w.N.),
so gilt das Gebot äußerster Vorsicht bei der Beweiswürdigung
in besonderem Maße, wenn, wie hier, die Zahl der Zwischenglieder
in der Beweisführung wächst (vgl. BGHSt 17, 382, 385).
Die Beweislage, von der aus das OLG sich eine Überzeugung
von der Täterschaft des Angekl. bilden mußte, unterscheidet
sich wesentlich von der in den Fällen, die der bisherigen
Rspr. des BGH zur Zulässigkeit der Verwertung belastender
Angaben in der Hauptverhandlung nicht auftretender Zeugen zugrunde
liegen. In der Regel hatten die Vernehmungsbeamten oder sonstigen
Zeugen, die in der Hauptverhandlung vernommen wurden, einen persönlichen
Eindruck von dem im Hintergrund bleibenden Gewährsmann. Sie
hatten ihn entweder selbst vernommen oder kannten ihn aus einer
Zusammenarbeit im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben. In solchen
Fällen ist der Tatrichter eher in der Lage, zu den Grundlagen
vorzustoßen, auf die der von ihm vernommene Zeuge seine
Bekundungen stützt, und sie damit auf ihre Richtigkeit zu
überprüfen. Ganz anders hier. Der Zeuge M. konnte dem
OLG den Inhalt der aus Einzelmeldungen der Quelle in dem befreundeten
Nachrichtendienst zusammengestellten "en-bloc-Meldung"
und die Kenntnis von einer Doppelfunktion der "Quelle"
vermitteln. Er konnte ihm darüber hinaus die für die
persönliche Glaubwürdigkeit dieses Gewährsmannes
sowie für die Richtigkeit seiner Darstellung nicht bedeutungslose
Tatsache mitteilen, dass dessen Hinweise in anderen Fällen
zum Erfolg geführt hatten. Dagegen konnte er dem Tatgericht
ersichtlich nicht die Kenntnis davon verschaffen, auf welche eigenen
oder fremden Erkenntnisse die Gewährsperson des befreundeten
Nachrichtendienstes, die sogenannte "Quelle", ihre Mitteilungen
stützte. Die Beweiswürdigung legt die Annahme nahe,
läßt jedenfalls die Möglichkeit offen, dass dieser
Gewährsmann nicht aus Kenntnissen schöpfte, die er durch
unmittelbare eigene dienstliche Befassung, etwa mit der nachrichtendienstlichen
Führung der Zielperson erlangt hatte, sondern dass er sich
auf Unterlagen stützte, deren Inhalt und Zustandekommen nicht
bekannt sind. Die Verwertung belastender Mitteilungen einer solchen
Gewährsperson im Strafprozeß birgt erhebliche Gefahren
für die Wahrheitsfindung in sich. Sie sind durch die Mittelbarkeit
der Beweisführung bedingt, die Fehlermöglichkeiten in
der angezeigten Richtung offen läßt.
[
]
In einem solchen Falle steht der Tatrichter vor der Schwierigkeit,
dass er sich keinen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit
des für ihn unerreichbaren anonymen Gewährsmanns verschaffen
kann - und zwar auch nicht mittels des von ihm vernommenen Zeugen,
der diesen Gewährsmann selbst nicht kennt - und dass er bei
der Art und Weise, wie die nachrichtendienstlichen Meldungen über
den befreundeten Nachrichtendienst an das BfV gelangt sind, mit
gefährlichen Irrtümern in einer oder mehreren der verschiedenen
Zwischenstationen rechnen muß. Je weiter das vom Tatrichter
unmittelbar benutzte Beweismittel von der eigentlichen Erkenntnisquelle
entfernt ist und je geringer die Möglichkeit ist, die mehreren
Zwischenglieder auf ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen,
desto vielfältiger sind die Fehlermöglichkeiten und
desto wichtiger ist es, dass er sich der durch die Beweisferne
bedingten Schwäche des in der Hauptverhandlung verwendeten
Beweismittels bewußt ist und dass er dabei auch nicht ohne
weiteres von der Zuverlässigkeit der Ermittlungs-. Auswertungs-
und Übermittlungstätigkeit der beteiligten nachrichtendienstlichen
Apparate ausgeht.
Damit entfällt die Grundlage für
die Schuldfeststellung.
3. Zu bemerken bleibt:
Zwar ist es rechtlich nicht unzulässig, die Überzeugung
eines glaubwürdigen Zeugen von bestimmten Vorgängen
in die richterliche Beweiswürdigung einfließen zu lassen.
Dann mußte hier aber dargetan werden, wie sie zustande gekommen
ist und auf welche tatsächlichen Umstände sie sich stützt.
[
]
Bei der tatrichterlichen Verwertung einer solchen Indizes ist
aber wiederum zu bedenken, dass ohne nähere Kenntnis der
auf ganz verschiedene Fälle bezogenen, möglicherweise
sehr unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten des Gewährsmannes
(der "Quelle"), auch bei Annahme von dessen persönlicher
Glaubwürdigkeit, die objektive Zuverlässigkeit von ihm
ausgehender Meldungen wegen verschiedenartigster Fehlermöglichkeiten
unterschiedlich zu bewerten sein kann, die Richtigkeit eines Hinweises
in einem Fall also nicht ohne weiteres belegt, dass ein entsprechender
Hinweis in einem anderen Fall ebenso zutrifft.
b)... Mangels näheren Wissens des Tatrichters von der konkreten
Art der Erkenntnismöglichkeiten auch eines in der nachrichtendienstlichen
Zentrale arbeitenden Gewährsmannes ist zu besorgen, dass
eine solche Bewertung von irrigen tatsächlichen Voraussetzungen
ausgeht. Bei seiner neuen Entscheidung wird das OLG näher
darzulegen haben, auf welche Weise die "Quelle" in den
Besitz ihrer Erkenntnisse gekommen ist,. um insoweit eine Nachprüfung
zu ermöglichen und Fehler hei der Einschätzung des Beweiswertes
der Mitteilungen dieses Gewährsmannes ausschließen
zu können.
c) Der neu zur Entscheidung berufene Strafsenat wird sich insgesamt
darum bemühen müssen, von den beteiligten westlichen
Nachrichtendiensten ein Höchstmaß an Einzelerkenntnissen
zu gewinnen, die geeignet sind. die angesprochenen Fehlermöglichkeiten
weitgehend auszuschließen. Denn danach sich ergebenden Beweiswert
der Meldungen des Gewährsmannes des befreundeten Nachrichtendienstes
wird er, für sich genommen sowie im Rahmen einer Gesamtwertung
aller für und gegen eine Täterschaft des Angekl. sprechenden
Umstände, kritisch zu würdigen haben."
Dem
wäre aus heutiger Sicht allenfalls noch hinzuzufügen,
dass wir aus der Debatte um die Begründung für den Irak-Krieg
und der gesamten Art und Weise, wie nicht nur die USA "den
Terror bekämpfen" noch ein weiteres über Zuverlässigkeit
von Erkenntnissen und Berichten von Nachrichtendiensten gelernt
haben. Jemand, der es unternimmt, auf derartige Informationen einen
Schuldspruch zu stützen, hat jedenfalls noch andere Motive
als die, Recht zu sprechen.
VI. Die Wohnraumüberwachung
Wie
oben bereits erwähnt, wurde die Wohnung meines Mandanten vom
24. August 2004 bis zum 22. Januar 2005, also über einen Zeitraum
von knapp fünf Monaten rundum die Uhr mittels großen
Lauschangriffs überwacht. Das ergab insgesamt etwa 3600 Stunden
Überwachungszeit, wovon rund 720 Stunden aufgezeichnet und
davon wieder etwas weniger als die Hälfte übersetzt wurden.
Während der Überwachung wurde zum operativen Zwecken eine
erste Übersetzung angefertigt; zur Vorbereitung der Anklage
wurden diese Gespräche erneut und sorgfältiger übersetzt.
Auch die zweite Übersetzungen verwies aber so vielen Fehler
und Lücken auf, das der Senat sich veranlasst sah, während
der Hauptverhandlung eine dritte Übersetzung anfertigen zulassen.
Dies wurde von den vier während der Hauptverhandlung nahezu
immer gleichzeitig anwesenden hochkarätigen Senatsdolmetschern
bewältigt, die zur Fertigstellung der Endfassung etwa ein Jahr
benötigten. Auch diese Übersetzungen enthielten weite
Bereiche, in denen das Gesprochene nicht verständlich war und
darüber hinaus eine Reihe von Fehlern in der Übersetzung
und auch in der Sprecherzuordnung.
Diese
Schwierigkeiten lagen nicht nur in der Übersetzung als solcher,
sondern in erster Linie in technischen Problemen begründet.
Anders als bei der Telefonüberwachung, bei der die Sprechereignisse
nach Kanälen getrennt abgehört und übersetzt werden
können, kommt es bei der Wohnraumüberwachung oft vor,
dass mehrere Personen gleichzeitig sprechen, was die Mikrofontechnik
- anders als das menschliche Ohr - nicht aufzulösen vermag.
Hinzu kamen häufige Störgeräusche durch ständig
laufende Fernseher, das Betätigen der WC-Spülung, Küchengeräusche
oder vorbeifahrende Züge. Dies war der Grund dafür, dass
weite Gesprächspassagen mangels Verständlichkeit nicht
übersetzt werden konnten und dass die Übersetzung im Übrigen
außerordentlich aufwendig war: eine Minute Gesprächsaufzeichnungen
konnte eine Stunde Übersetzungsarbeit nach sich ziehen. Die
Übersetzungsprotokolle füllten viele Leitz-Ordner; diejenigen,
wie schlussendlich im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung
eingeführt worden, waren vier an der Zahl.
Die
Problematik des Umstandes, dass das Hauptbeweismittel, die Ergebnisse
in der Wohnraumüberwachung, nicht authentisch im Rahmen der
Hauptverhandlung durch Abhören der Audiodatenträger und
unmittelbaren Übersetzungen, sondern im Wege des Selbstleseverfahrens
eingeführt wurde, kann ich dir nur anreißen, nicht aber
ausführen. Fest steht jedenfalls, dass die Hauptverhandlung
bei einer aus meiner Sicht ordnungsgemäßen Einführung
wesentlich länger gedauert hätte. Auch das charakterisiert
die Problematik des großen Lauschangriffs.
Deutlich
gravierender als die technischen waren die rechtlichen Probleme
im Zusammenhang mit der Wohnraumüberwachung. Der Senat formulierte
in seiner mündlichen Urteilsbegründung hierzu folgendes:
"Das
Hauptproblem lag jedoch nicht bei diesen eher technischen Fragen,
sondern bei der rechtlichen Frage der Verwertbarkeit der Wohnraumüberwachung.
Auf diese Rechtsfrage stützte sich auch die Hauptargumentation
der Verteidigung, die seit Beginn der Hauptverhandlung - wenngleich
ohne Erfolg - der Verwertung der Wohnraumüberwachung widersprochen
und letztlich unter Berufung auf ihre Unverwertbarkeit Freispruch
für Ihre Mandanten gefordert hat. Auf die Einzelheiten dieser
Rechtsfragen kann im Rahmen dieses Vorworts nicht eingegangen
werden; es sei nur darauf hingewiesen, dass der im Laufe der Hauptverhandlung
auf die Widersprüche der Verteidigung hin ergangene Beschluß
des Senats - dies war ebenfalls eine Pilotentscheidung -, mit
dem er die Zulässigkeit der Verwertung der Wohnraumüberwachung
bejaht und im Einzelnen begründet hat, sich über 27
Seiten erstreckt, ein für eine Entscheidung in laufender
Hauptverhandlung ganz und gar ungewöhnlicher Umfang. Ein
Aspekt soll in diesem Zusammenhang an dieser Stelle nicht unerwähnt
bleiben: Die in diesem Verfahren auf ihre Verwertbarkeit hin zu
überprüfende Wohnraumüberwachung wurde durchgeführt
zeitlich nach dem viel beachteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 3. März 2004 zum sog. großen Lauschangriff, jedoch
noch vor der am 24. Juni 2005 in Kraft getretenen gesetzlichen
Neureglung. Der Senat hatte sich somit mit der Verwertbarkeit
einer in diesem Zwischenzeitraum durchgeführten Wohnraumüberwachung
zu befassen, die sich sozusagen in einer rechtlichen Grauzone
und auf eher unsicheren rechtlichen Boden abspielte."[26]
Letzteres
kann man mit Fug und Recht sagen: die Wohnraumüberwachung war
zu einem Zeitpunkt begonnen worden, als die Bundesanwaltschaft die
Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens
gegen die drei Beschuldigten noch nicht als gegeben ansah. Sie wurde
beantragt auf polizeirechtlicher Grundlage, wobei das Amtsgericht
Mainz zunächst die Anordnung ablehnte, eine Zivilkammer des
Landgericht Mainz auf die Beschwerde hin allerdings die von der
Polizei begehrte Anordnung erließ. Auf Grund der aus den ersten
sechs Wochen der Überwachung gewonnenen Erkenntnisse leitete
erst dann der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren wegen
Verdachts von Straftaten nach den §§ 129 a, b StGB ein.
Die Verlängerung der ursprünglich von der Zivilkammer
unbefristet, von der Polizei aber als für drei Monate erlassenen
Anordnung geschah Mitte Oktober durch das Amtsgericht. Ca 1 Monat
nach Eröffnung des Ermittlungsverfahrens durch den Generalbundesanwalt
und auf dessen Antrag gegen zwei Mitangeklagte, die in der gleichen
Wohnung wohnten, erging auf strafprozessualer Grundlage eine Anordnung
durch eine Staatsschutzkammer , und zwar auf der Grundlage derjenigen
Vorschriften, die vom BVerfG als unvereinbar mit dem Grundgesetz
verworfen worden waren. Zu diesem Zeitpunkt war aber das Kind schon
in den Brunnen gefallen, denn die auf präventivpolizeilicher
Grundlage angeordnete Telefonüberwachung war entgegen der Auffassung
des Senats in seinem umfangreichen Beschluss rechtswidrig und ihre
Ergebnisse daher unverwertbar.
Bei
der notwendigen Prüfung richtete sich dabei an das Hauptaugenmerk
auf die richterliche Anordnung der Wohnraumüberwachung durch
Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 14.7.2004
und auf die Frage, ob die gesetzliche Grundlage, auf der die Anordnung
erging, wirksam war. In diesem Zusammenhang interessant ist auch
der Umstand, ob zum Zeitpunkt der Anordnung der Wohnraumüberwachungen
hinreichende Anhaltspunkte dafür gegeben waren, dass die angenommene
dringende Gefahr der Begehung zukünftiger erheblicher Straftaten
konkret bestand.
Die
ganze Tragweite einer möglichen Annahme, dass die Wohnraumüberwachung
in vorliegenden Fall zulässig und verwertbar sein sollte, wird
deutlich, wenn man sich den Kerngehalt des Antrages des Polizeipräsidenten
in Mainz vom 22.6.2004, mit dem die richterliche Anordnung der Wohnraumüberwachung
erreicht werden sollte und schließlich auch erreicht wurde,
einmal vor Augen führt: hierin wurde behauptet, dass die Wohnung
meines Mandanten Treffpunkt einer aus fünf Personen bestehenden
Gruppe von Islamisten mit zum Teil unterschiedlichen Bezügen
zu anderen Islamisten seien, woraus sich die dringende Gefahr ergebe,
dass in dieser Wohnung Straftaten von erheblicher Bedeutung, also
solche, die im Anschluss an den 11. September 2001 in New York zu
erwarten wären, geplant würden.
Von
dieser angeblich so gefährlichen Gruppe befanden sich bei näherem
Hinsehen eine Person in Haft; die zweite der Personen war zunächst
in Haft gewesen und nun unbekannten Aufenthalts. Dafür, ob
sie nach wie vor in der Wohnung verkehrte oder mindestens telefonischen
oder sonstigen persönlichen Kontakt zu den restlichen Personen
hielt, hatte die Polizei keinerlei Erkenntnisse. Die dritte Person
ist zuletzt im Mai 2004 mit dem Hauptangeklagten außerhalb
seiner Wohnungen gesehen worden, kurz zuvor traf er mit ihm zufällig
zusammen. In Wahrheit bestand also die Gruppe von behaupteten fünf
Personen nur noch aus zwei Personen, die beide in der Wohnung gemeldet
waren. Entkleidete man also den Antrag des Polizeipräsidenten
Mainz von dem um die Personen herum aufgebauschten Erkenntnis-Aufwand
aus lange zurückliegender Zeit, blieb im Grunde übrig,
dass der Polizeipräsident Mainz mit seinem lang begründeten
Antrag der Justiz zumutete, eine entgegen seiner Behauptung im Antragszeitpunkt
nicht mehr aus fünf, sondern nur noch aus zwei Personen bestehende
"Gruppe", von denen beide in der Wohnung wohnen oder zumindest
gemeldet waren, mit einer Wohnraumüberwachung zu überziehen.
Es wäre leicht gewesen, durch Telefonüberwachung und/oder
Observationsmaßnahmen wenigstens heraus zu bekommen, ob noch
zu einer dritten Person aus der "Gruppe" Kontakt bestand.
Hierauf wurde verzichtet. Zu den beiden anderen Personen, zu denen
Kontakte behauptet wurden, waren sie zum fraglichen Zeitpunkt, dem
der Anordnung der Wohnraumüberwachung, in einer gefahrbegründenden
Weise jedenfalls unmöglich.
Von
daher lagen die Voraussetzungen, unter denen nach § 29 Abs.
1 POG Rheinland-Pfalz nach der seinerzeit gültigen Gesetzesfassung
die Wohnraumüberwachungen zu präventiv-polizeilichen Zwecken
angeordnet werden durfte, zum Zeitpunkt der richterlichen Anordnung
dieser Maßnahme schon nicht vor.
§ 29 Abs. 1 POG Rheinland-Pfalz war aber auch in der Fassung,
die zum Zeitpunkt der Beantragung und richterlichen Anordnung der
Wohnraumüberwachungen galt, verfassungswidrig und nichtig.
Dieses
Ergebnis drängte sich insbesondere deswegen auf, weil die hier
zu prüfende Gesetzesfassung am 2. März 2004 vom Landtag
in Mainz verabschiedet wurde, just einen Tag, bevor das BVerfG seine
wegweisende Entscheidung zum großen Lauschangriff[27] verkündete.
Im Hinblick auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
hat der rheinland-pfälzische Gesetzgeber die Vorschriften zur
Wohnraumüberwachungen mit Gesetz vom 25. 7. 2005 vollkommen
neu gestaltet und den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
angepasst. Der Gesetzgeber war daher selbst der Meinung, dass die
Vorschriften in der Fassung, wie sie der Wohnraumüberwachung
im vorliegenden Verfahren zugrunde lagen, verfassungsrechtlichen
Ansprüchen nicht genügten. Es musste daher sehr verwundern,
wenn die Bundesanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag zur Begründung
für die Verfassungsmäßigkeit von § 29 Abs.
1 a. F. POG Rheinland-Pfalz auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes
von Rheinland-Pfalz vom 29. Januar 2007 verwies, hatte doch diese
Entscheidung nicht die uns interessierende alte Gesetzesfassung
zum Gegenstand, sondern gerade die Neufassung von § 29 POG
Rheinland-Pfalz. Auch verbot sich eine Prüfung der Wohnraumüberwachung
in unserem Verfahren an der Neufassung des Gesetzes, wie es der
Senat aber in seinem Beschluss vom 21.8.2007 aber unternommen hatte.
Die
grundsätzlichen Bedenken der Verteidigung gegen die Verfassungsmäßigkeit
und Wirksamkeit der zentralen Vorschrift, auf die die präventiv-polizeilichen
Wohnraum Überwachungen in diesem Verfahren gestützt ist,
wurden durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts Rheinland-Pfalz
vom 29.1.2007 daher nicht beruhigt, sondern im Gegenteil bestärkt.
Nur am Rande sei bemerkt, dass eine Reihe weiterer Landesverfassungsgerichte
ähnliche Bestimmungen in Landesgesetzen für verfassungswidrig
und damit nichtig angesehen haben, so etwa der VerfgH Mecklenburg-Vorpommern[28]
und der VerfgH Sachsen[29] .
Auch
stieß die Verwertung der Erkenntnisse aus der Wohnraumüberwachungen
gegen den Mitangeklagten, gegen den die WRÜ weder beantragt
noch angeordnet wurden war, auf durchgreifende Bedenken. Dieser
war nicht etwa Drittbeteiligter im Sinne einer Kontakt- oder Begleitperson.
Als solche dürften Personen anzusehen sein, die mehr oder weniger
zufällig mit der verdächtigen Person, dem Gefahrverursacher,
in Kontakt stehen, ohne dass sie selbst in einer Beziehung zur Verursachung
der Gefahrenlage stehen. Für diese hat der rheinland-pfälzische
Gesetzgeber ebenfalls eine Vorschrift erlassenen und die Eingriffsschwelle
deutlich erhöht: gegen sie darf eine Maßnahme erst dann
gerichtet werden, wenn solche gegen den nach §§ 4 oder
5 POG Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich
sind oder keinen Erfolg versprechen. Vorrang hat danach immer eine
Maßnahme gegen die Personen, die die Gefahr verursachen.
Insofern
ein Mitbewohner selbst gefahrbegründend ist, kann und muss
die Maßnahme vorrangig gegen ihn gerichtet werden. Er ist
eben nicht zufällige Kontakt- oder Begleitperson, die sich
wie ein Besucher zeitweise in der Wohnung aufhält und dem der
Schutz von Art. 13 GG daher in der Wohnung des Bekannten nicht zugute
kommt. Er ist selbst Inhaber der Wohnung und daher auch Inhaber
des Schutzrechts aus Art. 13 Grundgesetz. Aus diesem Grunde ist
auch gegen die Mitbewohner separat zu prüfen und gegebenenfalls
separat zu beantragen und anzuordnen, ob die Wohnraumüberwachung
zulässig sein soll oder nicht. Genau darum handelt es sich
hier bei dem Mitangeklagten. Der ist gerade nicht zufällig
Mitbetroffener, sondern Wohnungsinhaber und als solcher der Polizei
bekannt. Sein Schutzbereich nach Art. 13 GG war betroffen. Auch
in seiner Person mussten die Voraussetzungen für eine Wohnraumüberwachung
vorliegen. Auch im Hinblick auf seine Person war daher die Anordnung
der Wohnraumüberwachungen zu beantragen und gegebenenfalls
durch das Gericht anzuordnen. Dies ist unterlassen worden, obwohl
die Polizei wusste, dass er in der Wohnung, die überwacht werden
sollte, gemeldet war und davon ausging, dass er dort wohnte. Schon
aus diesem Grunde dürfte die Verwertung der Ergebnisse der
Wohnraumüberwachungen gegen den Mitangeklagten jedenfalls unzulässig
gewesen sein. Die Polizei hat es bewusst unterlassen, eine entsprechende
richterliche Anordnung einzuholen und damit den Grundrechtsschutz
dieses Angeklagten aus Art. 1, 2, 13 und 19 Abs.4 GG unterlaufen.
Dass eine solche Anordnung bei rechtmäßigem Verhalten
der Polizei rechtmäßig zu erreichen gewesen wäre,
darf angesichts der obigen Ausführungen füglich bezweifelt
werden.
Auch
eine Beachtung des vom BVerfG geforderten Schutzes des Kernbereichs
der Persönlichkeit, der in der Neufassung des § 29 POG
Rheinland-Pfalz ausdrücklich geregelt ist, fehlte der Gesetzesfassung
in der Form, wie sie hier zur Überprüfung steht, völlig.
Das Landgericht Mainz hatte diesen Aspekt in seiner Entscheidung
vom 14.7.2004 gänzlich außer Betracht gelassen. Weder
das Polizeipräsidium noch das Landgericht Mainz bei der Anordnung
der Maßnahme haben die vom BVerfG geforderte negative Prognose
hinsichtlich einer Verletzung des Kernbereichs auch nur ansatzweise
angestellt. So weit in den Handlungsanweisungen des Polizeipräsidiums
Mainz davon die Rede ist, wird völlig außer Acht gelassen,
dass es fern liegt, das BVerfG könnte mit " Kernbereich
der Persönlichkeit " ausschließlich die eigene Person
des Betroffenen und seine engsten Familienangehörigen gemeint
haben. Hierzu sind im vertraulichen Gespräch innerhalb der
Wohnung ganz sicher auch enge Freunde zu rechnen, mit denen man
sich über die Familie, eigene Probleme, die Religionen, Träume
und Zukunftspläne unterhält. Ein jeder mag sich selbst
darauf hin überprüfen, ob er solche Gespräche mit
seinen Freundinnen oder Freunden für seiner Persönlichkeit
äußerlich und unwichtig und damit nicht schützenswert
hält. Um so mehr musste dieser Aspekt für jemanden wie
den Hauptangeklagten gelten, der in Deutschland nicht über
Familie verfügt, sondern ausschließlich über Freunde.
Dieser Umstand ist bei der Bewertung der Maßnahme völlig
außer Betracht gelassen worden, indem die Freunde kurzerhand
zu "Glaubensbrüdern" umdefiniert wurden, mit denen
Unterhaltungen sicher nur außerhalb des Kernbereichs und eher
im Hinblick auf gefahrbegründende Momente strafbaren Inhalts
geführt würden . Die Betrachtung der Wohnraumgespräche
selbst lehrte uns eines besseren. Hierauf komme ich noch zurück.
Auch
die Organisation und Durchführung der Wohnraumüberwachungen
schloss eine Verletzung des Kernbereichs der Persönlichkeit
nicht etwa aus, sondern begünstigte sie sogar.
Zunächst muss man davon ausgehen, dass es sich vorliegend um
eine Rundum-Überwachung gehandelt hat. Rechnet man von der
gesamten Zeitraum und Dauer der Wohnraumüberwachungen von 3600
Stunden diejenigen Zeiten ab, in denen die Nutzer der Wohnung schliefen
oder schlicht nicht anwesend waren, bleibt ein wesentlich geringerer
Zeitraum von etwa der Hälfte übrig, der auf Grund des
Anfallens von Gesprächen oder sonstigen Lebensäußerungen
tatsächlich zu überwachen gewesen wäre. Tatsächlich
lief es aber so, dass in einem 24-Stunden-Schichtbetrieb die Wohnung
ununterbrochen überwacht wurde. Alle Lebensäußerungen
wurden jedenfalls akustisch überwacht. Die Überwachung
wurde nur dann unterbrochen, wenn nach dem Ermessen des jeweils
Schicht führenden Polizeibeamten, der sich an den viel zu weit
gefassten Handlungsanleitungen orientierte, zweifellos der Kernbereich
der Persönlichkeit tangiert war. Auch in diesen Fällen
wurde von Zeit zu Zeit in die Lebensäußerungen in der
Wohnung "hinein gehört" und bei entsprechender Einschätzung
des diensthabenden Polizeibeamten die Überwachung, gegebenenfalls
die Aufzeichnungen, fortgesetzt. Dass die Einschätzung des
Polizeibeamten nicht immer richtig war, ergab sich bereits aus einer
Uneinigkeit über die Anwendung des Kernbereichsschutzes zwischen
dem Amtsgericht Mainz und der Bundesanwaltschaft. Die Handlungsanweisungen
des PP Mainz bezeichneten schon die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
zum großen Lauschangriff als für sich nicht verbindlich
und führten weiter aus, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
zur Durchführung der Maßnahme derzeit technisch nicht
umzusetzen seien. Ein Weiteres ergab sich in diesem Zusammenhang
aus einer Entscheidung des Senats darüber, dass die Gespräche,
bei denen der Hauptangeklagte allein in der Wohnung war, nicht verwertet
werden dürften. Sie sind jedenfalls überwacht und aufgezeichnet
worden. Darüber hinaus sind, eine Vielzahl von Gebeten, Gesprächen
über die Familie, das Grab des Vaters und ähnliche Themen
aufgezeichnet und übersetzt worden, die in keinem Zusammenhang
mit dem Verfahrensgegenstand stehen und auch seinerzeit in keinem
Zusammenhang mit einer wie auch immer gearteten Gefährdungseinschätzung
stehen konnten.
Zu
beachten ist hierbei, dass es sich bei den Gesprächen, die
der Senat und die Verteidigung zur Kenntnis nehmen konnten, lediglich
um einen geringen Teil der Gespräche handelt, die tatsächlich
aufgezeichnet und übersetzt worden sind, weil entweder die
Polizei in Mainz oder die Bundesanwaltschaft sie für verfahrensrelevant
gehalten haben. Dahinter verbirgt sich eine sicher sehr viel größere
Anzahl von Gesprächen, die aufgezeichnet, und eine noch größere
Anzahl von solchen, die zwar überwacht, nicht aber aufgezeichnet
worden sind. Die genaue Anzahl der lediglich abgehörten, nicht
aber aufgezeichnet in Gespräche, lässt sich weder den
Verfahrensakten entnehmen, noch hat sie die Bundesanwaltschaft mitgeteilt.
Die Größe dieser Zahl ergibt sich aber in etwa aus der
mitgeteilten Verfahrensweise. Zusammenfassend lässt sich daraus
nur der Schluss ziehen, dass sämtliche Lebensäußerungen
des Angeklagten und seines Mitbewohners sowie der Besucher in seiner
Wohnung unter Überwachung standen. Genau das aber bezeichnet
der Begriff "Rundum-Überwachung"!
Nicht übersehen werden darf dabei auch, dass es mit der Wohnraumüberwachung
nicht sein Bewenden hatte. Daneben wurde eine nahtlose Überwachung
des Hauseseinganges mittels eines Videogeräts durchgeführt.
Wenn auch die Aufzeichnungen der Videokamera minutenlange Lücken
aufweisen, so hatte das ausschließlich technische Gründe;
gleichzeitig wird aus operativen Gründen ein Polizeibeamter
am Gerät gesessen und den Eingang über die Videokamera
permanent beobachtet haben. Die Überwachung selbst lief also
lückenlos 24 Stunden lang. Daneben wurden die Telefone - gem.
richterlicher Anordnung - abgehört und die Post kontrolliert
sowie längerfristige Observationen zweier Beschuldigter durchgeführt.
Herr Khalil wurde längerfristig observiert, ein Telefonladen
wurde videoüberwacht. Hier wird besonders deutlich, was "Rundum-Überwachung"
bedeutet.
Dabei
soll nicht bestritten werden, dass tatsächlich in der Wohnraumüberwachung
Gespräche geführt worden sind, die den Rückschluss
auf den Abschluss von Versicherungsverträgen in unlauterer
Absicht zulassen. Auch die Gespräche, in denen mein Mandant
über einen vergangenen Aufenthalt in Afghanistan und seine
Bekanntschaft mit hochgradigen Mitgliedern der Al Queda sowie seine
Teilnahme an den kämpferischen Auseinandersetzungen im Anschluss
an den 11. September 2001 schildert, mögen als verfahrensrelevant
für die Frage durchgehen, ob er Mitglied bei dieser Gruppierung
ist oder nicht. Auch will ich noch durchgehen lassen, dass in diesen
Zusammenhang Gespräche gerechnet werden, in denen die Beteiligten
über die religiöse Rechtfertigung des Bestehlens von "Ungläubigen"
sprechen oder über die Frage, ob von dieser Beute etwas für
religiöse Zwecke, etwa den Bau einer Moschee, oder für
"die Mujaheddin" abgeführt werden müsse. Ich
habe es nicht nachgerechnet, bin mir aber sicher, dass die Gesamtdauer
der Gespräche mit diesem Inhalt zehn bis 15 Stunden der gesamten
Überwachungszeit nicht überschreitet. Das macht nicht
einmal 0,5% der gesamten überwachten Zeit aus.
Auch
hieraus ergibt sich, dass durch die Organisation der Maßnahme
keinesfalls sichergestellt war, dass die Verletzung des Kernbereichs
der Persönlichkeit ausgeschlossen oder deren Risiko zumindest
weit gehend herabgemindert war. Auch dieser Umstand macht die Wohnraumüberwachung
unzulässig und deren Ergebnisse unverwertbar.
Maßnahmen,
die nach Landesrecht nicht zulässig erhoben sind, sind von
der Verwertbarkeit nach § 100 f Abs. 2a.F, § 100d Abs.
VI Ziff. 3 StPO ausgeschlossen. So liegt es hier.
Eine
Prüfung der in der nachfolgenden Beschlüsse, mit denen
die Wohnraumüberwachung angeordnet oder verlängert worden
ist, führte zu dem Ergebnis, dass sie allesamt unmittelbar
auf den Erkenntnissen der ursprünglich unzulässigen und
damit unverwertbaren Wohnraumüberwachung fußen und damit
den hierdurch einmal eingetretenen Grundrechtseingriff erweitern
und vertiefen, ohne dass es insoweit auf die Diskussion über
die Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten ankäme. Sie waren
daher allesamt unzulässig. Ihre Ergebnisse waren unverwertbar.
Abschließend
sei noch darauf hingewiesen, dass der 6. Strafsenat des OLG Düsseldorf
die Wohnraumüberwachung nach der geltenden Gesetzeslage in
der mündlichen Urteilsbegründung ausdrücklich als
stumpfes Schwert bezeichnet und die Hoffnung geäußert
hat, das der Gesetzgeber und das BVerfG noch einmal Gelegenheit
bekommen möchten, über die Vorschriften nachzudenken.
Dafür wird die Verteidigung Sorge tragen[30] .
________________________
Anm.:
1 StV1992, 527ff
2 z.B. BGHSt 25, 285,286; 25, 365,367; StV 1988, 511,512; 1990,247;
1990,485
3 BGH NStZ 1981,31
4 BGH NStZ 1990,501; StV 1992,261,262
5 NStE § 261, Nr. 28
6 NStE § 261,Nr. 64
7 NJW 1988,3273 = StV 1988, 190 = BGHR StPO 261 Überzeugungsbildung
8 Herdegen NJW 2003, 3513,3515
9 BVerfG NJW 2003,2444,2446 mwN
10 - 3 StR 444/05 -
11 - 3 StR 238/07 -
12 BGHR § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO, Auslandszeugen 12
13 Denninger StV 2002, 96ff., der den Verbund noch als präventiv
ansieht
14 Zöller in: Roggan/Kutscha (Hrsg.): Handbuch zum Recht der
inneren Sicherheit, 2. Aufl. Berlin 2006, S. 502
15 Roggan in: Roggan/Kutscha (Fn. 13), S. 415, 418
16 BVerfGE 100, 313 (373)
17 Roggan, Fn 14, 431; Riegel ZRP 95, 177; Paeffgen StV 1999, 675
18 StV 2001, 216, 218
19 StV 2001, 510,514
20 s.o. Fn. 15
21 StV 2001, 649,650ff.
22 StV 1995, 348
23 StV 1990,297
24 So auch Soinè NStZ 2007, 247 ff; der Aufsatz enthält
bezeichnenderweise bereits in der Zusammenfassung die Formulierung
"Der informationellen Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden
und Nachrichtendiensten kommt insbesondere in Fällen von Terrorismus
und Organisierter Kriminalität eine hohe Bedeutung zu. Der
Beitrag befaßt sich mit Kooperationsformen dieser Sicherheitsbehörden
beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Insbesondere werden
die Möglichkeiten erörtert, Erkenntnisse von Informanten
und V-Personen der Nachrichtendienste in Strafverfahren einzuführen."
25
StV 1986, 193 ff
26 Das komplette Vorwort zu mündlichen Urteilsbegründung
erschien bereits am Tage der Urteilsverkündung -dem 05.12.2007
- auf der Homepage des Oberandesgerichts Düsseldorf und ist
dort noch heute im Pressearchiv abrufbar www.olg-duesseldorf.nrw.de
27 BVerfGE 109, 279 ff
28 Urt. v. 18.05.2000, DVBl. 2000, 1145
29 Urt. V. 21.07.2005, DVBl. 2005, 1219 = NJW 2005, 3559
30 Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Textes ist inzwischen die
Revision begründet worden; der Schriftsatz, der nur die wesentlichen
Verfahrensrügen enthalten konnte, füllt 17 (!) Leitzordner
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